ph

Camino francés - Seite 9

Spanien

Carrion de los Condes - Sahagun (ca. 41 km)

Camino francés Heute früh verabschiedeten wir Miguel Angel, er mußte nach Haus in seine Kanzlei. Wir machten noch ausgiebig Frühstück mit ihm, danach gingen wir auf den Weg und er zum Bus. Er war ein sehr ruhiger und angenehmer Mensch und er ließ mir seine Handschuhe und Badelatschen da. Ja, ich war wie immer, etwas schlamprig auf Reisen gegangen 🙂. Nachdem wir den Ort verließen, meinte Alfred, ich könne jetzt die Augen schließen, es würde 20 km nur geradeaus gehen. So war es dann auch. Schnurgerader Weg, durch den Nebel links und rechts nur wenig zu sehen, wurden diese 20 km zur psychischen Tortur. Man sah kein Vorwärtskommen. Wir quatschten viel, um es kurzweiliger zu machen. Die erste geplante Bar nach 20 Kilometern hatte zu, stattdessen trafen wir die französischen Brüder völlig desillussioniert in einer Bushaltestelle an. Wir versuchten bischen Konversation, aber das war mit den Beiden nicht mehr möglich. Auf einem der vorherigen Etappen war uns schon einmal ein Franzose entgegengekommen, genauso fertig und wild gestikulierend, da die Unterkünfte nicht so geöffnet waren, wie sie seiner Meinung nach sollten. Wir mußten jedenfalls weiter und wurden in einem Ort paar Kilometer weiter mit einem Kaffee in einer Art sozialen Begegnungstätte belohnt. Hier liefen Stierkämpfe im Fernsehen und Alfred erklärte mir das Für und Wider um dieses Spektakel. Ob Tiere oder Umwelt quälen, der Mensch läßt sich seinen Spaß was kosten. Die nächsten 10 km waren ziemlich hart und auf der vergeblichen Suche nach einer weiteren Bar trafen wir Klaus wieder.

Camino francés Er hatte gerade Lunch gemacht und wollte mit uns nach Sahagun. Wir liefen mittlerweile schon zügig, aber Klaus hatte einen Schritt drauf, an den wir uns nur mit Mühe gewöhnen konnten. Mit Riesenschritten und selbstgeschnitztem Pilgerstock schritt er vor uns her. Er war von Heidelberg über Frankreich bis hierhergelaufen, nur über die Pyrenäen hatte er den Zug genommen, man hatte ihm wegen des Schnees abgeraten. 1700 km hatte er hinter sich. Bis Frankreich hatte er teils in Herbergen, teils im Zelt übernachtet, das Zelt danach aber heimgeschickt. Sein Chef gab ihm so lange frei bis die Auftragslage auf dem Bau im Frühjahr wieder besser würde. Seine Motivation für diese Tour war, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu bringen. In Sahagun angekommen, schmerzten unsere Knochen von dem Ritt heute. Wir nächtigten in einer Kirche, deren Dachgeschoß zur Herberge ausgebaut war. Es war relativ angenehm hier, einzig das Duschwasser war nicht besonders warm. Abends ging es dann in eine Bar um die Ecke und Alfred führte mich an einheimische harte Getränke heran. Orujo, den starken Schnapps, gab es in verschiedensten Variationen. Mein Favorit war allerdings Calimocho, eiskalter Rotwein mit Cola. Es war wieder sehr locker, jeder gab paar Stories zum Besten, eine davon sei hier erzählt, welche die Ernsthaftigkeit wiedergibt, mit der das Pilgern auf dem Jakobsweg zumindest hier in der Region behandelt wird. In Frankreich wollte ein Pilger den schönen selbstgemachten Pilgerstock von Klaus klauen. Er wurde vom Hospitalero erwischt und sofort der Herberge verwiesen. Damit nicht genug, wurde direkt in Santiago angerufen, damit dieser Pilger die Compostella nicht erhält. Kriminellen Elementen bin ich selbst nicht begegnet, mir wurde nur geraten nicht leichtfertig Wertsachen aus den Augen zu lassen und v.a. in Santiago auf Taschendiebe zu achten.

Sahagun - Reliegos (ca. 30 km)

Camino francés Wir starteten zu viert, Jana, Alfred, Klaus und ich und so blieb es auch bis Santiago, nur Alfred muss uns in Leon verlassen um zur Arbeit zu gehen. Die Strecke heute war wieder flach und eintönig, es regnete den ganzen Tag. Ich unterhielt mich lange mit Alfred, der viele meiner Interessen teilte. Er nannte seine Frau "The punisher", da sie die Kilometer der Etappen so hoch veranschlagt hatte. Denn er bekam heute enorme Fußprobleme. Eine höhere Instanz schien das zu verstehen, denn Jana fiel kurz darauf der Länge nach in einen der Bäche, die durch den vielen Regen über die Straßen liefen. Nein, wir haben nicht leise vor uns hin gelacht 🙂. Da wir aber fast jeden Tag bis auf die Haut durchnäßt waren, war es weniger schlimm. Zudem waren wir schon kurz vor Reliegos. Die Herberge war in dem kleinen Ort schnell gefunden, einige Pilger waren schon hier. Jakob, ein junger Amerikaner, ihn kannte Jana von einem ihrer vorangegangenen Caminos und sie fielen sich in die Arme. Eine junge Spanierin war noch hier und die Polin mit dem zweieinhalb-jährigen Kind, von der wir schon öfter gehört hatten. Sie war eine große robuste Frau, auch das Kind sah älter aus und war kerngesund. Sie war ca. 3000 km bis hierhergelaufen, von Polen aus und wollte noch bis Murcia in Portugal.

Camino francés Später, paar Herbergen weiter, fragte ich sie, warum sie den Weg ging, trotz Kleinkind. Sie hatte nicht mehr an das Gute im Menschen geglaubt und wollte es suchen gehen. Auf die Frage nach ihrem bisherigen Fazit erwiderte sie mir, sie hätte es auf dem Weg schon in einigen Menschen wiedergefunden. Ich wollte noch wissen, was sie denn täte, wenn ihr Kinderwagen kaputt gänge. Sie würde die Leute nach einem neuen Wagen fragen gehen. Alles klang sehr logisch und konsequent, war aber schon etwas verwegen. Wir nächtigten alle in einem großen Raum auf dicken Matten, für den kleinen Ort war die Herberge sehr gut ausgestattet. Der Hospitalero, der nach unserem Abendessen erschien, erzählte, hier hätte auch Martin Sheen bei dem Dreh von "The way" übernachtet. Abends ging es wieder in die eine offene Bar des Ortes. Wir hatten Super-Essen und viele Calimochos. Hier hatte ich einen sehr unscheinbaren, für mich aber ergreifenden Moment. Ein sehr alter Mann mit versteinertem Gesicht saß an unserem Nebentisch. Er lachte nie und starrte vor sich hin oder in den Fußball übertragenden Fernseher. Als wir uns zum Gehen erhoben, kam er ernst auf uns zu, drückte jedem von uns die Hand, sah uns in die Augen und wünschte mit aufrichtiger Stimme einen "Buen Camino". Ich hatte für einen Augenblick das Gefühl eine tiefe Menschlichkeit zu spüren, wie auch immer diese zu definieren sei.

Info
Indem Sie unsere Website nutzen, stimmen Sie unseren Cookie-Richtlinien zu.